
"Bremen Radar this is DLH123 checking in on Frequency 147.075, FL230 .... ziemlich wenig los bei euch heute, was ?"
So ähnlich ging es vor einigen Wochen los. Der Flugverkehr brach innerhalb weniger Tage nicht nur in Deutschland nahezu komplett ein, und veränderte meinen Job so radikal, wie es bisher nur der Eyjafjallajökull vor zehn Jahren schaffte.

Der neue "Vulkan" hat einen wesentlich einfacher auszusprechenden Namen: COVID - 19 auch bekannt als das CORONA VIRUS.
Und während im Jahr 2010 aufgrund der Vulkanasche der Flugbetrieb für einige wenige Tage komplett ruhte, sind wir nun mittlerweile bei über 4 Wochen angekommen und ein Ende ist bisher überhaupt nicht in Sicht.
Was machen wir Fluglotsen in unserem normalerweise sehr stressigen Arbeitsleben nun in diesen wirren Zeiten ? Home Office ist nicht möglich. Piloten über WhatsApp Anweisungen erteilen ? Oder dieses Zoom nutzen ? ... Nee das funktioniert alles nicht.
Kommt ich erzähl euch wie es bei uns zur Zeit abläuft !
Vorab ein klein wenig Hintergrundinfos was ich als Fluglotse überhaupt mache.
Wir sind nämlich nicht die, die mit den Kellen auf dem Vorfeld winken ;).
Wer meinen Beruf schon kennt, kann diesen Absatz beruhigt überspringen.
Ich arbeite seit über 20 Jahren als Fluglotse im Area Control Centre (ACC) Bremen, nachdem ich zuvor einige Jahre meinen Dienst auf dem militärischen Tower in Jever absolvierte. Als Towerlotse gibt man hauptsächlich Roll-, Start- und Landeanweisungen. ACC bedeutet nun, das ich eine Etage tiefer im Kontrollraum vor einem Radarschirm sitze. Aber keine Angst, der Raum ist mittlerweile hell und hochmodern und mein Bild kann locker mit eurem Flachbildfernseher daheim mithalten ;)
An diesem Radarschirm bin ich für sogenannte Sektoren bis zu einer Höhe von 8km zuständig. Stellt euch einfach vor, man hat die Landkarte Deutschlands in viel kleine Stücke zerschnitten, und nun sind immer zwei Fluglotsen (4-Augen-Prinzip) für einen Schnipsel (Sektor) und die Flugzeuge die dort auf der Frequenz fliegen zuständig.
Das ACC Bremen überwacht den gesamten Norddeutschen Luftraum bis hinunter nach Kassel und versorgt Hamburg, Bremen, Hannover und Berlin als die großen inter-nationalen Flughäfen in unserem Bereich. Es gibt noch ein ACC in Frankfurt und eines in München.
Ich besitze wie meine Kollegen Lizenzen für mehrere "Schnipsel", und so arbeiten in der Kontrollzentrale in Bremen über 300 Fluglotsen im 24 Stunden Schichtbetrieb.
Unsere Aufgabe ist es den Flugverkehr durch Anweisungen an den Piloten per Funk sicher, flüssig und ökonomisch zu führen.
Kurz zusammengefasst : Jedes Viereck auf dem Radarschirm ist ein Flugzeug, das sich unterschiedlich schnell bewegt, und diese Vierecke müssen mit ausreichendem Abstand aneinander vorbeigeführt werden.
Auch wenn die Zeiten gerade schwierig für die Luftfahrt sind, so suchen wir doch immer händeringend Nachwuchs !
Mehr Infos auf der Webseite www.dfs.de
Okay, nachdem ihr nun wißt was ich tue, und wie wuselig es in so einem Kontrollzentrum normalerweise zugeht, hier nun ein Blick wie es in den letzten Tagen am Flughafen und bei uns aussieht :


Gähnende Leere am Flughafen und leere Stühle in der Kontrollzentrale :(
Mittlerweile ist der Flughafen Bremen komplett geschlossen und wir bei der Flugsicherung haben das Personal in den Büros und dem Kontrollraum auf ein absolutes Minimum heruntergefahren, da der Verkehr um über 85% eingebrochen ist !
Vereinzelte Linienmaschinen, Frachtflugzeuge und das Militär, welches die vielen Freiheiten im Luftraum ausnutzt, fordern allerdings weiterhin die volle Konzentration der Kollegen die vor dem Radar sitzen !
Wir haben Sektoren, an denen normalerweise 4 oder 6 Lotsen zuständig sind, auf einen Arbeitsplatz zusammengelegt. Diejenigen Lotsen die dann sozusagen "arbeitslos" sind und nicht gebraucht werden, läßt man daheim und ihre "verpasste" Arbeitszeit wird auf einem "Negativ -Stundenkonto" notiert. Diese Zeiten (maximal 300 Stunden bis Jahresende) werden wir dann in den nächsten 5 Jahren zur Hälfte nacharbeiten müssen.
So teilen unsere Führungskräfte mit 14 Tagen Vorlauf gerecht auf, wer in der Firma zu erscheinen hat und wer zuhause bleiben muss. Alsbald sollen Dienste mit 24h Rufbereitschaft folgen, falls ein Kollege krank wird. Ich finde es insgesamt einen sehr fairen "Deal" meines Arbeitgebers für den ich sehr dankbar bin, denn so bleibt uns Kurzarbeit erspart !

Im Dienst halten wir dann mindestens zwei Meter Abstand zum Kollegen, und "baden" mehr oder weniger täglich in Desinfektionsmittel. Ob für die Hände beim Betreten des Kontroll-raumes, oder für die Telefonhörer, Stifte, Monitore, Mikrofone etc.
Jedesmal wenn ich einen Sektor vom Kollegen für die nächsten zwei Stunden übernehme beginnt die Prozedur. Ist ziemlich nervig.
Der Flugverkehr ist ja wie oben beschrieben überschaubar, und tatsächlich gibt es Zeiten in denen ich minutenlang mit keinem einzigen Flugzeug auf der Frequenz einen leeren Radarschirm betreue ! Ganz schön gruselig !

Ebenso gibt es mittlerweile eine ganz Menge an Verhaltensregeln,
die man zwar öfters hinterfragt, aber am Ende akzeptiert.
Mit ist bewusst das die Deutsche Flugsicherung diese Regeln aufstellt, um unsere Gesundheit zu erhalten !
So gilt z.Bsp. :
- Jeder Lotse der gerade nicht arbeitet verlässt den Kontrollraum
- Im Aufenthaltsraum mit TV dürfen maximal 2 Personen sein
- In der (geschlossenen) Kantine nur eine Person pro Tisch usw.
Wir gehören zur Gruppe der systemrelevanten Berufe, und sollte es zu einem Coronafall innerhalb der Belegschaft kommen, ist kaum auszumalen, was das bedeuten würde.
Dies ist auch ein Grund, warum wir nicht nur auf der Arbeit sondern auch im Privatleben einen hohen Sicherheitsstandard pflegen, damit der "Laden am Laufen gehalten wird".
Aktuell überlegt die Firma, wie wir weiterarbeiten können, wenn der Flugverkehr wieder steigt, denn das würde bedeuten, das mehr Lotsen im Kontrollraum sind, und wir den Mindestabstand nicht mehr einhalten können !
Für das 4-Augen-Prinzip sitzen wir nämlich mehr oder weniger Schulter an Schulter nebeneinander vor dem Radarschirm.

Dementsprechend arbeiteten Kollegen probeweise mit einer Gesichtsmaske aus Stoff, was wie ihr euch sicher vorstellen könnt sehr schwierig war, wenn man eine klare Aussprache zum Piloten benötigt damit er die Anweisung auch versteht.
Ich habe heute als Alternative mit einer Art "Gesichtsschild" gearbeitet, was sicherlich die bessere Wahl wäre. Sieht zwar aus wie ein Lampenschirm, aber hey .. eine Lösung muss her !
Hier wurde ich vom Chef um eine "pro und contra Liste" gebeten, und bin gespannt wie sich die Firma entscheiden wird.
Auch die Alternative "Plexiglasscheiben zwischen den Arbeitsplätzen" aufzustellen wird derzeit diskutiert, allerdings ist die zwischenmenschliche Kommunikation unter den Kollegen vor dem Radarschirm, ein wesentlicher Faktor der zur Sicherheit beiträgt, dann beeinträchtigt.
Nun habt ihr einen kleinen Einblick in meinen Arbeitsalltag als Fluglotsen zu Corona Zeiten bekommen. Normalerweise funken wir mit vielen Flugzeugen gleichzeitig und fällen im Sekundentakt wichtige Entscheidungen, so das die Flugzeuge im ausreichenden Abstand in einem sehr engen Luftraum aneinander vorbeifliegen ... und nun gibt es Zeiten der Langeweile, um dann kurzfristig in einer Situation wieder topfit zu sein ... mit einem Lampenschirm auf dem Kopf. Ganz schön herausfordernd.
Dazu die verschärften Hygienemaßnahmen und tägliche neue Verhaltensanweisungen lassen auch uns über "richtig und falsch" grübeln und diskutieren, wie es viele in der Bevölkerung im Alltag tun.

Der Fluglotse ist an sich schon ein recht komplizierter Charakter, denn er kann schlecht Kontrolle abgeben ;)
Was bleibt ist, das ich sehr dankbar für das bin, was die Firma für uns in dieser besonderen Situation tut, und auch der Zusammenhalt der Kollegen untereinander ist in meinen Augen gewachsen. Wir kommen da alle gemeinsam durch, und irgendwann sitzt auch ihr wieder im Flieger in den Urlaub, währenddessen wir auf euch aufpassen, ohne das ihr es merkt !
P.S.
Eine persönliche Anmerkung zur derzeitigen Situation :
Ich weiß das ich mit vielen meiner Gedanken zur Corona Krise nicht alleine bin.
Ein jeder trägt gerade sein Säcklein, seine Sorgen in diesen Zeiten. Die Verkäuferin an der Kasse, das Krankenhauspersonal, der Musiker, der Gastronom, der Opa der seine Enkel nicht sehen darf, und viele viele mehr. Ich bin ein optimistischer Mensch und will auch in diesen Zeiten das Gute erkennen. Allen, die diese Zeilen hier lesen, drücke ich die Daumen, das wir gemeinsam gut und gesund aus dieser Zeit kommen, und irgendwann lächelnd zurückblicken auf eine weitere Erfahrung in unserem gerade "ver-rückten" Leben.
Euer Ralf
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